Neuronaler Prozess der Entscheidungsfindung entschlüsselt
Schon etliche Sekunden bevor wir eine Entscheidung bewusst treffen, können erste Anzeichen der Absicht im Gehirn gelesen werden. Dies zeigt eine aktuelle Studie von Wissenschaftlern der Charité – Universitätsmedizin Berlin, des Bernstein Zentrums für Computational Neuroscience Berlin, sowie des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig. Die Forscher um Prof. John-Dylan Haynes haben mit Hilfe der Magnetresonanztomographie Veränderungen im Gehirn untersucht, die einer bewussten Entscheidung vorausgehen. „Wir glauben in der Regel, dass wir unsere Entscheidungen bewusst fällen. Diese Annahme ist jetzt in Frage gestellt“, sagt Haynes. Die Studie wird in der Mai Ausgabe der wissenschaftlichen Zeitschrift Nature Neuroscience* veröffentlicht, vorab am Sonntag den 13. April in der Online-Ausgabe.
Die Testpersonen konnten sich frei entscheiden, ob sie mit der rechten oder der linken Hand einen Knopf betätigen. Anschließend mussten sie angeben, zu welchem Zeitpunkt gefühlsmäßig ihre Entscheidung gefallen war. Ziel war es, herauszufinden, wo im Gehirn selbst bestimmte Entscheidungen entstehen und vor allem ob dies geschieht, bevor es uns bewusst wird.
Das Ergebnis: Bereits sieben Sekunden vor der bewussten Entscheidung konnten die Wissenschaftler aus der Aktivität des frontopolaren Kortex an der Stirnseite des Gehirns vorhersagen, welche Hand der Proband betätigen wird. Zwar ließ sich die Entscheidung der Probanden nicht mit Sicherheit voraussagen, die Häufigkeit richtiger Prognosen lag aber deutlich über dem Zufall. Dies deutet darauf hin, dass die Entscheidung unbewusst angebahnt, aber noch nicht endgültig gefallen war.
„Bisher hat die Forschung in der Regel Prozesse betrachtet, bei denen der Proband sich sofort entscheiden muss. Viele interessante Entscheidungen erfolgen aber in einem selbst gewählten Tempo“, erklärt Prof. Haynes. Die lange Zeitspanne, die seine Untersuchung umfasst, ist beispiellos. „Normalerweise analysiert man die Hirnaktivität einer Person, während sie eine Entscheidung trifft und nicht schon Sekunden vorher“, sagt Haynes, „dass selbst gewählte Entscheidungen vom Gehirn schon so früh angebahnt werden, hat man bisher nicht für möglich gehalten.“
Schon vor über 20 Jahren ist es dem amerikanischen Neurophysiologen Benjamin Libet gelungen, ein Gehirnsignal, das so genannte Bereitschaftspotential, zu messen, das einer bewussten Entscheidung um einige hundert Millisekunden vorausgeht. Libets Experimente lösten eine heftige Debatte um die Willensfreiheit aus. Wenn Entscheidungsprozesse unbewusst ablaufen, so argumentierten einige Wissenschaftler, ist der freie Wille eine Illusion – das Gehirn entscheidet, nicht das „Ich“.
Da Haynes und seine Kollegen die Vorbereitung der Entscheidung über weit längere Zeiträume beobachten, können sie diese Zweifel an Libets Experimenten nun aus dem Weg räumen. Einen endgültigen Beweis gegen die Existenz eines freien Willens sehen sie nicht. „Nach unseren Erkenntnissen werden Entscheidungen im Gehirn zwar unbewusst vorbereitet. Wir wissen aber noch nicht wo sie endgültig getroffen werden. Vor allem wissen wir noch nicht, ob man sich entgegen einer vorgebahnten Entscheidung des Gehirns auch anders entscheiden kann“, sagt Haynes.
Kontakt
Prof. John-Dylan Haynes
Bernstein Zentrum für Computational Neuroscience Berlin,
Philippstrasse 13, Haus 6,
10115 Berlin
t: +49 30 2093 6762
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