
#WomenInScience: Interview mit Sonja Entringer
11.02.2023
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"Die wichtigste Voraussetzung für eine erfolgreiche wissenschaftliche Karriere ist es, für sich ein Gebiet zu finden, das interessiert und fasziniert."


Erzählen Sie uns etwas über sich in fünf Sätzen, das sie fachlich wie auch menschlich beschreibt.
Mit meiner Forschung möchte ich in einem interdisziplinären Ansatz dazu beitragen, Gesundheit und Wohlbefinden über die gesamte Lebensspanne zu verbessern. Gesundheit in diesem Sinne umfasst damit mehr als die bloße Abwesenheit von Krankheit, sondern bezieht auch das körperliche, psychische und soziale Wohlergehen mit ein. Ich habe Psychologie an der Universität Trier studiert, dort in Psychobiologie promoviert und seither an medizinischen Fakultäten gearbeitet – zunächst an der Medical School der University of California, Irvine USA, und nun an der Charité. Es ist mir wichtig, stets offen für neue und aktuelle Themen zu bleiben und diese in meine wissenschaftliche Arbeit zu integrieren.
Seit wann sind Sie an der Charité und was ist Ihr Arbeits- oder Studienschwerpunkt?
Ich bin seit 2013 am Institut für Medizinische Psychologie der Charité. Dort erforschen wir die biologischen Mechanismen, über die Stress-Erfahrungen die Krankheitsvulnerabilität beeinflussen können. Zum Beispiel, wie Stress unsere Zellen schneller altern lässt, und welche Risiko- und Schutzfaktoren es diesbezüglich gibt.
Können Sie etwas genauer auf Ihr Forschungsgebiet eingehen?
Mein Hauptforschungsinteresse gilt dem Bereich „Frühe Programmierung von Krankheit und Gesundheit“. Die Grundannahme hierbei ist, dass Entwicklungsbedingungen im frühen Leben die Physiologie des heranwachsenden Organismus so beeinflussen können, dass das Krankheitsrisiko im späteren Leben dauerhaft geprägt wird. Faktoren, die ich in diesem Zusammenhang untersuche, reichen von individuellen Faktoren wie psychischer Stressbelastung der Mutter und Ernährungsverhalten während der Schwangerschaft bis hin zu gesellschaftlichen Determinanten wie Migration und sozialer Ungleichheit. Dabei interessiere ich mich besonders für die biologischen Mechanismen, über die diese Erfahrungen auf die fetale und kindliche Entwicklung übertragen und dauerhaft eingebettet werden können.
Warum haben Sie sich für die Charité entschieden?
Meine Arbeit spannt einen Bogen über viele Disziplinen, unter anderem umfasst sie Aspekte der Gynäkologie, Geburtshilfe, Neonatologie, Pädiatrie, Psychiatrie, Soziologie, Biologie und Psychologie. Alle diese Fachbereiche sind an der Charité auf hohem international vergleichbarem wissenschaftlichem Niveau vertreten, und die Möglichkeiten für wissenschaftliche interdisziplinäre Kooperationen sind dementsprechend sehr gut. Im Institut für Medizinische Psychologie arbeiten wir in einem Team von drei Professorinnen eng zusammen und unterstützen uns gegenseitig. Das ist sehr bereichernd und motivierend.
Was hat den Ausschlag gegeben, sich für eine Karriere in der Medizin zu entscheiden?
Mich hat schon immer das Zusammenspiel zwischen Psyche und körperlicher Gesundheit und Krankheit interessiert. Dieses lässt sich am besten in einem medizinischen Setting untersuchen. Unsere Forschung hat eine hohe Bedeutung für die Prävention und die Entwicklung neuer, innovativer Interventionsstrategien, die bereits in der frühen Entwicklungsperiode ansetzen, bevor es zur Manifestation von Erkrankungen kommt und somit dazu beitragen, die Krankheitslast der Gesellschaft und Kosten für unser Gesundheitssystem zu reduzieren.
Gab es besondere Herausforderungen oder Hürden in Ihrer (bisherigen) Karriere?
Ich habe zwei Kinder. Als Wissenschaftlerin reist man viel, aufgrund von Kooperationsprojekten mit den USA bin ich wegen der Zeitverschiebung häufig bis spät abends noch in Zoom-Meetings. Familie und Karriere zu vereinbaren, dem Druck standzuhalten, als Mutter und Wissenschaftlerin allen Ansprüchen (auch den eigenen) zu genügen, ist nicht immer leicht.
Haben Sie im Laufe Ihrer Karriere Hilfe von Mentor:innen oder Förderprogrammen erhalten?
Ich hatte das große Glück, einen sehr guten Mentor zu haben, der mich durch konstruktive Kritik und Feedback dabei unterstützt hat, Anträge zu schreiben, von denen viele erfolgreich gefördert wurden. Früh in meiner Karriere zum Beispiel habe ich ein Postdoc-Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) erhalten, das es mir ermöglichte, an der UC California Irvine USA zu forschen. Kurz nach meinem Neubeginn an der Charité habe ich ein Starting Grant vom European Research Council (ERC) eingeworben. Dabei konnte ich mich stets auch auf die Unterstützung meiner Kolleg:innen am Institut für Medizinische Psychologie an der Charité verlassen.
Was raten Sie Frauen, die eine Karriere in der Medizin anstreben?
Die wichtigste Voraussetzung für eine erfolgreiche wissenschaftliche Karriere ist es, für sich ein Gebiet zu finden, das interessiert und fasziniert. Es fällt dann leicht und macht Spaß, sich entsprechendes Fachwissen anzueignen und sich mit Kolleg: innen auszutauschen. Wenn man zusätzlich in einem stimulierenden Umfeld ist, ergibt sich dann vieles wie von selbst. Wenn die Arbeit Spaß macht, empfindet man es auch nicht als Belastung, wenn man viel Zeit damit verbringt.
Was muss sich ändern, damit mehr Frauen in Führungspositionen vertreten sind?
Gerade in der Medizin gibt es noch sehr viele hierarchische Strukturen und Dienstpläne, die nicht immer leicht zu vereinbaren sind mit Familie. Damit vor allem Frauen nicht davor zurückschrecken, eine wissenschaftliche Karriere und Führungsposition in der Medizin anzustreben, ist es besonders wichtig, hier noch mehr unterstützende Angebote zu schaffen, die berufstätige Mütter entlasten. Auch muss es zu einem gesellschaftlichen Umdenken kommen, damit das schlechte Gewissen arbeitender Mütter entlastet wird.
Wo sehen Sie sich in beruflicher Zukunft?
Ich hoffe, noch viele Jahre an der Charité weiterzuarbeiten und dort mein Forschungsprogramm auszubauen. Mit meinen Erkenntnissen möchte ich einen Beitrag leisten zur Förderung von Gesundheit und Wohlbefinden über die gesamte Lebensspanne, von der Schwangerschaft und damit der fetalen Phase bis ins hohe Erwachsenenalter.