
#WomenInScience: Interview mit Eva Janina Brandl
07.04.2022
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„Patient:innen Unterstützung dabei zu geben, ein möglichst gesundes und glückliches Leben zu führen, macht mir immer wieder aufs Neue Freude.“


Erzählen Sie uns etwas über sich in fünf Sätzen, das Sie fachlich wie auch menschlich beschreibt.
Ich bin eine sehr offene und soziale Person. Daher wollte ich gerne in einem Beruf arbeiten, in dem ich viel mit anderen Menschen zu tun habe. Gleichzeitig mag ich Kreativität und Vielfalt und bringe viel Neugierde darauf mit, wie wir denken, fühlen und handeln. Aus diesem Grund hat mich wissenschaftliches Arbeiten schon immer fasziniert. Dieses Interesse damit verbinden zu können, den Patient:innen Unterstützung dabei zu geben, ein möglichst gesundes und glückliches Leben zu führen, macht mir immer wieder aufs Neue Freude.
Seit wann sind Sie an der Charité und was ist Ihr Arbeits- oder Studienschwerpunkt?
Einschließlich des Studiums bin ich seit dem Jahr 2000 an der Charité, unterbrochen durch einen längeren Forschungsaufenthalt in Kanada. In der Psychiatrischen Universitätsklinik der Charité im St. Hedwig-Krankenhaus leite ich das Gerontopsychiatrische Zentrum. Außerdem beschäftige ich mich mit der Behandlung von psychischen Erkrankungen in Schwangerschaft und Stillzeit, für die wir in unserer Klinik eine Spezialsprechstunde aufgebaut haben.
Können Sie etwas genauer auf Ihr Forschungsgebiet eingehen?
Mein wissenschaftlicher Schwerpunkt liegt auf der Untersuchung von genetischen Faktoren sowie von Umwelteinflüssen auf das Ansprechen auf Psychopharmaka, da wir immer noch nicht wissen, warum einige Menschen viel besser auf Medikamente reagieren als andere. Weil gerade in der Gerontopsychiatrie viele Personen zahlreiche Medikamente gleichzeitig einnehmen, untersucht meine Arbeitsgruppe auch Auswirkungen von und Möglichkeiten zur Optimierung von Polypharmazie. Zusätzlich arbeiten wir an mehreren Projekten zur Verbesserung der psychiatrischen Behandlung sowohl von psychisch kranken Müttern als auch von älteren Patient:innen.
Warum haben Sie sich (damals) für die Charité entschieden?
Ich wollte sehr gerne im damaligen Reformstudiengang an der Charité studieren und war sehr froh, dass das auch geklappt hat. Im Studium habe ich verschiedene Abteilungen an der Charité kennengelernt und fand die Mischung aus klinischer Tätigkeit, Forschung und Lehre schon damals sehr reizvoll, so dass ich froh war, dann auch an der Charité arbeiten zu können.
Was hat den Ausschlag gegeben, sich für eine Karriere in der Medizin zu entscheiden?
Mich hat von Anfang an vor allem die Psychiatrie interessiert. Psychische Erkrankungen sind extrem häufig in der Bevölkerung und sehr belastend für die Betroffenen. Gleichzeitig sind sowohl die Symptome der Krankheiten als auch die Behandlungsmöglichkeiten sehr vielfältig, aber noch nicht so gut erforscht wie viele Erkrankungen aus anderen Fachbereichen der Medizin. Das macht die Psychiatrie zu einem besonders spannenden Fach, für das ich mich immer wieder entscheiden würde.
Gab es besondere Herausforderungen oder Hürden in Ihrer (bisherigen) Karriere?
Die größte „Hürde“ in meiner Karriere ist der Spagat zwischen Familie und Beruf. Ich bin Mutter von zwei Kindern, was immer wieder eine Herausforderung im Alltag ist, wenn man sowohl der Familie als auch dem Beruf gerecht werden möchte. Gerade bezogen auf abendliche oder auswärtige Termine bin ich nicht sehr flexibel. Glücklicherweise arbeite ich in einer sehr familienfreundlichen Abteilung und habe ein gutes Netzwerk, das mich unterstützt, so dass die Kombination aus Familie und Beruf zwar oft anstrengend, aber nicht unmöglich ist.
Haben Sie im Laufe Ihrer Karriere Hilfe von Mentor:innen oder Förderprogrammen erhalten?
Ich habe und hatte immer das Glück, sehr viel Unterstützung von meinen Vorgesetzten zu haben. In Kanada gab es eine erfolgreiche Professorin mit vier Kindern, die für mich eine tolle Mentorin gerade hinsichtlich der Kombination von Familie und Beruf war. An der Charité habe ich am Mentoringprogramm für Nachwuchswissenschaftlerinnen teilgenommen, was sehr hilfreich war. Sehr profitiert habe ich auch vom Clinician Scientist Programm von der Charité und dem Berlin Institute of Health (BIH), das mir die Kombination von Klinik und Forschung unglaublich erleichtert und meine Habilitation entscheidend ermöglicht hat.
Was raten Sie Frauen, die eine Karriere in der Medizin anstreben?
Es ist extrem hilfreich, sich Mentor:innen zu suchen, die dabei helfen, Schwierigkeiten zu überwinden und Entscheidungen für den Karriereweg zu treffen. Ich habe oft den Eindruck, dass wir Frauen nicht so gut wie Männer darin sind, uns berufliche Netzwerke aufzubauen und uns gegenseitig zu fördern, was gleichzeitig aber unglaublich wichtig und vermutlich ein großer Faktor dafür ist, dass Führungspositionen sehr männlich besetzt sind. Daher würde ich allen Frauen raten, Zeit und Energie in bessere berufliche Netzwerke zu investieren.
Was muss sich ändern, damit mehr Frauen in Führungspositionen vertreten sind?
Ich wünsche mir vor allem eine größere Selbstverständlichkeit von Frauen in Führungspositionen, gerade von Müttern. Wir Frauen blockieren uns oft selbst und gegenseitig mit Klischees wie dem der „Rabenmutter“, denen Frauen mit Kindern und beruflichen Ambitionen immer noch sehr häufig begegnen. Wenn wir von diesen Bildern weg hin zu besseren Netzwerken und vielleicht auch ein paar kreativeren Möglichkeiten, Karriere und Kinder miteinander zu verbinden, kommen würden, gäbe es vermutlich auch mehr weibliche Führungskräfte in der Medizin.
Wo sehen Sie sich in (beruflicher) Zukunft?
Meine jetzige Tätigkeit macht mir sehr viel Freude. Die Gerontopsychiatrie klingt für manche leider oft erst einmal etwas abschreckend, ist aber sowohl klinisch als auch wissenschaftlich ein tolles und zukunftsträchtiges Gebiet. Auch die Arbeit mit psychisch kranken Müttern ist mir sehr wichtig und ich hoffe, genau diese Mischung noch eine Weile beibehalten zu können.