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Zwei Charité-Beschäftigte schauen in einen übermannshohen Kasten, der mit Schläuchen und Kabeln gefüllt ist.

Ein kleines Haus für ein großes Mikroskop

13.04.2021

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Vier Meter hoch ist das neue Kryo-Elektronenmikroskop auf dem Campus Buch. Es liefert Aufnahmen von winzigsten Strukturen auf Nanometerebene. Das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) hat für dieses Wunderwerk der Technik ein eigenes Gebäude errichtet. Dr. Christoph Diebolder von der Charité – Universitätsmedizin Berlin leitet die Einrichtung für die Berliner Strukturbiologie-Gemeinde. 

Holzverkleidetes Gebäude
Das neu errichtete Gebäude für die Kryo-EM Core Facility befindet sich so weit weg von befahrenen Straßen, wie es auf dem Campus Buch nur möglich ist. © Charité | Wiebke Peitz
Drei Personen vor einem Gebäude
Das Team der Kryo-EM Core Facility (v.l.): Dr. Christoph Diebolder, Dr. Thiemo Sprink und Metaxia Stavroulaki. © Charité | Wiebke Peitz
Drei Personen vor einem übermannshohen Mikroskop
Das Team vor dem vier Meter hohen Kryo-TEM. © Charité | Wiebke Peitz

Was die Welt im Innersten zusammenhält – Dr. Christoph Diebolder will’s wissen. Er will die biochemischen Prozesse ergründen, mit denen sich die kleinsten Puzzlesteine des Lebens aneinanderfügen. Sichtbar machen, was passiert, wenn Moleküle im Inneren einer Zelle aufeinandertreffen.

Der Strukturbiologe leitet seit Februar 2020 die neu errichtete Core Facility für Kryo-Elektronenmikroskopie (Kryo-EM) der Charité in Zusammenarbeit mit dem MDC und dem Leibniz-Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie (FMP) auf dem Campus Buch. Zuvor war er über zehn Jahre  lang in den Niederlanden und dort unter anderem als Wissenschaftler am Netherlands Centre for Electron Nanoscopy (NeCEN) tätig. Die Kryo-EM Core Facility läuft seit einem knappen Jahr im Testbetrieb, im März ging sie offiziell in den Regelbetrieb. Mit der Kryo-EM ist es möglich, biologische Moleküle auf Nanometerebene sichtbar zu machen – „in einer Auflösung, die mit der Kristallografie mithält“, schwärmt Dr. Diebolder. Am 13. April stellt er die neue Technologie im Rahmen seiner MDC Welcome Lecture vor.

Gegenüber der Röntgen-Kristallografie hat die Kryo-EM einen entscheidenden Vorteil. Auch damit können dreidimensionale Strukturen beispielsweise eines Proteins abgebildet werden, erklärt Prof. Dr. Oliver Daumke. Er forscht am MDC an Proteinen, die innerhalb der Zelle wichtige Funktionen ausführen, indem sie zelluläre Membranen unter Energieverbrauch verformen. „Die Kristallografie erzeugt jedoch das Bild eines isolierten Proteins. Das Besondere an der Kryo-Elektronenmikroskopie ist, dass wir damit die Proteine nicht nur in Isolation, sondern auch in ihrer zellulären Umgebung anschauen können“, sagt Prof. Daumke. „Und das, ohne sie vorher kristallisieren zu müssen.“

Herzstück der Technologieplattform ist ein vier Meter hohes Kryo-Transmissionselektronenmikroskop (Kryo-TEM). Wie ein riesiger Tresor steht es in einem hohen weißen Raum, der von einem gleichmäßigen Rauschen erfüllt ist: die Lüftungsanlage. Denn so groß das Gerät ist, so empfindlich ist es. Temperaturschwankungen verträgt es ebenso wenig wie eine zu hohe Luftfeuchtigkeit. Letztere liegt bei unter 20 Prozent und macht Besucherinnen und Besucher schnell durstig. Auch Vibrationen oder elektromagnetische Felder sind problematisch. Der Boden des Gebäudes besteht deshalb aus einer 1,25 Meter dicken Betonplatte, die Schwingungen ausgleicht. Ansonsten würde der in 100 Meter Entfernung vorbeifahrende Campusbus die Messungen stören. Zudem ist es wie ein „Haus im Haus“ doppelwandig gebaut. „Wir betreiben eine Menge Aufwand, damit unsere Mikroskope glücklich sind“, sagt Dr. Diebolder. 

Diebolder erinnert sich an den Augenblick vor einem Jahr, als er das Kryo-TEM zum ersten Mal eingeschaltet hat: „Das kann ein Moment großer Enttäuschung sein. Aber in diesem Fall war es ein wunderbarer Moment, weil wir Daten von sehr hoher Qualität erhalten haben.“ Berliner Forschende können die hochmoderne Technik fortan für ihre Projekte nutzen. Das Kryo-EM-Team unterstützt sie dabei. Bereitet die Proben vor, führt die Messungen durch, unterstützt bei der Auswertung und Modellierung der Daten. Neben Dr. Diebolder arbeiten Dr. Thiemo Sprink (MDC) und Metaxia Stavroulaki (Charité, finanziert durch das FMP) in dem schlichten, würfelförmigen Bau, der mit dunkelbraunem Holz verkleidet ist. Durch einen kleinen Vorraum gelangt man in die Schaltzentrale des Gebäudes. Ein Schreibtisch mit vier Arbeitsplätzen zieht sich längs durch den Raum, jeder davon ist mit mehreren Bildschirmen bestückt. Vor dem Fenster: 2.400 Quadratmeter märkischer Sand, über den demnächst wieder Bagger rollen. In einem Jahr soll dort das Optical Imaging Center (OIC) des MDC stehen.

Die Leidenschaft für die Elektronenmikroskopie hat Dr. Diebolder während seines Studiums der Technischen Biologie in Stuttgart gepackt. Das war in den Nullerjahren, die Kryo-EM gab es dort damals noch nicht. Dr. Diebolder war trotzdem fasziniert, weil auch ein herkömmliches Elektronenmikroskop den Blick auf einzelne Atome gewährt. Das funktioniert, weil Elektronenstrahlen dank ihrer kürzeren Wellenlänge eine wesentlich höhere Auflösung erreichen als Licht. Allerdings müssen die Proben entwässert, chemisch fixiert und mit Schwermetallen kontrastiert werden. Das, was der Elektronenstrahl sichtbar macht, ist also nicht der natürliche Zustand eines Moleküls, sondern das, was nach dieser Behandlung von ihm übrigbleibt.

Erst dank der Kryo-EM müssen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht länger Artefakte interpretieren, sondern können tatsächlich natürliche Strukturen betrachten. 2017 erhielten der Schweizer Jacques Dubochet, der Deutsch-Amerikaner Joachim Frank und der Schotte Richard Henderson den Chemie-Nobelpreis für die Entwicklung dieser neuen Art der Mikroskopie. Dabei werden Moleküle so schnell abgekühlt, dass sich keine Eiskristalle bilden können. Stattdessen entsteht glasklares Eis, das die Moleküle in ihrer natürlichen Form fest umschließt. Der Elektronenstrahl kann die Eisschicht durchdringen. Eine im unteren Teil des Mikroskops installierte Kamera zeichnet das Abbild auf. Ein Computer errechnet aus mehreren, oft Hunderttausenden Aufnahmen eine exakte dreidimensionale Abbildung des Moleküls – in einer bislang nicht dagewesenen Genauigkeit und hohem Detailreichtum. Die Bilder, die dabei entstehen, offenbaren nicht selten eine ungeahnte Schönheit und Symmetrie, wie sie ein Architekt nicht besser entwerfen könnte. 

In welche entlegenen Gefilde die Forschenden mit dem Elektronenstrahl vordringen, zeigt sich auch an dem Gegensatz zwischen der Größe des Mikroskops und der Winzigkeit der Probe, die es durchleuchten kann. Eine Zelle von einem Mikrometer Durchmesser wäre zu dick, nicht mehr als 300 Nanometer dürfen es sein. Um derart feine Proben präparieren zu können, steht den Forschenden in der Facility ein weiteres Gerät der Spitzenklasse zur Verfügung: ein Dual Beam FIB SEM, ein Kryo-Rasterelektronenmikroskop mit fokussiertem Ionenstrahl. Darin wird aus der schockgefrorenen Probe, beispielsweise einer menschlichen Zelle, mit dem Ionenstrahl eine elektronendurchlässige Lamelle herausgefräst. Um genau den Abschnitt zu bekommen, der im Kryo-TEM betrachtet werden soll, kann Metaxia Stavroulaki zuvor mithilfe eines Kryo-KLEM, eines korrelativen Elektronen-Lichtmikroskops, die entsprechenden Moleküle markieren. Die Lamelle, dieser Hauch einer Probe, kommt dann ins Kryo-TEM.

Neben den Dienstleistungen für Forschende und ihre Projekte wollen Dr. Diebolder und sein Team diesen Workflow – vom Kryo-KLEM über Dual Beam FIB SEM und Kryo-TEM bis hin zur Datenaufbereitung und Modellberechnung – weiterentwickeln und verfeinern. „Wir wollen mit unserer Arbeit die Strukturbiologie methodisch voranbringen“, beschreibt Dr. Diebolder seine Vision. „Unser Ziel ist es, von in vitro zu in situ zu kommen, also Prozesse direkt in der Zelle zu beobachten.“ 

 

Links:

Ultrakalte Mikroskope für den Campus Buch

Pressemitteilung der FU Berlin zur Mittel-Bewilligung der DFG für neue Hochleistungsmikroskope

AG Kryo-Elektronenmikroskopie makromolekularer Maschinen des Institut für Medizinische Physik und Biophysik der Charité