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Dem Virus voraus sein

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Als das SARS-Virus, Verursacher einer schweren atypischen Lungenentzündung, 2002 in Asien um sich griff, eine Ausbreitung auf andere Erdteile und Europa zu befürchten stand, gelangen Proben eines Patienten mehr zufällig denn beabsichtigt in die Hände des Virologen Christian Drosten. Über Nacht konnte er mit Kollegen das bis dahin unbekannte Virus identifizieren und einen Schnelltest entwickeln. Prof. Drosten zögert nicht, die Ergebnisse sofort weltweit zugänglich zu machen. Drei Jahre später erhält er dafür das Bundesverdienstkreuz. Die Vorhersagbarkeit von Epidemien viraler Erreger bleibt im Fokus des Forschers, jetzt mit neuer Basis an der Charité Berlin.

Herr Drosten, Sie haben in den vergangenen zehn Jahren das Institut für Virologie am Universitätsklinikum Bonn aufgebaut und geleitet. Welchen Weg wollen Sie mit Ihren Arbeiten in Berlin einschlagen?

Es geht in unserer Forschung um die Diversität und Evolution von Viren. Wir wollen verstehen, wie Epidemien entstehen und bestenfalls auf den nächsten großen Ausbruch vorbereitet sein. Man nennt dieses Forschungsfeld Pandemic Preparedness Research. Im Zeitalter einer globalisierten Menschheit ist dies eine der höchsten Organisationsebenen von präventiver Medizin. Es ist Bevölkerungsmedizin, basierend auf der Arbeit an Krankheitserregern, wie es letztlich Robert Koch hier in Berlin vorgelebt hat. Wir haben in der Grundlagenforschung hinsichtlich der Evolution und Entstehung von Virusepidemien noch extrem viel zu erledigen. In bestehenden Forschungsverbünden werde ich daran weiter arbeiten. Hier in Berlin gibt es allerdings etwas Zusätzliches, sehr Interessantes. Es ist die Anwendung dessen.

Welche Möglichkeiten sehen Sie in der Anwendung?

Die Gesundheitsbehörden bekommen bisher aus der Forschung vor allem Diagnostikmethoden. Aber die technische Entwicklung in der Grundlagenforschung ist viel weiter. Wir sind heute in der Lage, bei Erregern, die zum Beispiel in einem Krankenhausausbruch auftauchen, mehr zu sagen als nur: Test positiv oder negativ. Wir hoffen, den Behörden bald sagen zu können: Dieses Virus trägt ein hohes Übertragungspotenzial in sich. In der Öffentlichkeit hat man am meisten Angst vor Erregern, die über die Lunge übertragbar sind. Unter anderem an der Charité entstehen derzeit neue Modellsysteme für Infektionen an den Atemwegen, bei denen man eine menschliche Lunge, oder ein Laborsurrogat davon, mit einem Krankheitserreger infiziert. Der Trend geht dahin, dass man bewerten möchte, ob ein bestimmter Erreger, der vielleicht neu aus Asien oder Afrika importiert worden ist, als gefährlich einzuschätzen ist. Das ist eine wichtige Funktion, die das öffentliche Gesundheitswesen aus der Grundlagenforschung erhalten kann. Diese Verbindung will ich hier in Berlin stärker betreiben.

Ihr Ziel ist es auch, neue Forschungskonzepte zu entwickeln. In welche Richtung denken Sie hierbei?

Konzepte entstehen häufig dadurch, dass man in andere Wissenschaftsbereiche hineinschaut, die ganz anders arbeiten. Ich finde es sehr interessant, als Mediziner mit Ökologen zu sprechen, die wirklich anders denken, zum Beispiel über Populationsvorgänge. Zum Teil versuchen wir, das auf humane Epidemiologie zu übertragen, unter anderem beim MERS-Virus. Das ist eine typische Erkrankung, die vom Tier kommt und auf den Menschen übertragen wird, die aber einen viel weiteren evolutionsbiologischen Hintergrund hat als die reine Speziesbarriere. Die meisten akut verlaufenden Viruskrankheiten, selbst typisch menschliche Krankheitserreger wie Masern- oder Erkältungsviren, kommen ursprünglich von Tieren, in der Regel von anderen Säuggetieren. Die Frage ist jeweils nur, wie lang es her ist, dass sie ihren Wirt gewechselt haben. Hier gibt es ganz unterschiedliche Ansichten, die wir besser eingrenzen müssen. Paläovirologie und Paläoepidemiologie sind dabei ganz neue Themen, die uns noch überraschende Einsichten bescheren werden.

Offenbar braucht es genau diese neuen Konzepte, um aktuelle Epidemien zu verstehen?

Wachstum eines menschlichen Erkältungsvirus in Kulturzellen (Virus = grüne Farbe, Zellkerne blau). Im Vergleich dazu das unangepasste Vorläufervirus aus dem Kamel. Die Viren werden im Labor auf ihre funktionellen Unterschiede untersucht. Beim noch unangepassten Kamelvirus fand sich zwar eine gute Vermehrung in menschlichen Zellen, aber eine noch eingeschränkte Fähigkeit, die infizierten Zellen wieder zu verlassen (aus Corman et al., PNAS 2016*).

So ist es. Nehmen wir dieses MERS-Virus, das beständig im arabischen Raum zirkuliert. Es ist 2012 entdeckt worden, daran waren auch wir mit beteiligt. Wahrscheinlich ist es aber schon viel länger da gewesen, es ist nicht plötzlich neu entstanden. Wir wissen inzwischen: Das Virus kommt bei Kamelen vor, überall da, wo Dromedarkamele gezüchtet werden, von Afrika bis nach Indien. Der Mensch infiziert sich damit immer mal wieder, und es verursacht verheerende Krankenhausausbrüche – etwa 30 Prozent der infizierten Patienten sterben daran. Es handelt sich um eine sogenannte Spill-over-Infektion, also eine Infektion, die immer wieder aus dem Tierreservoir kommt. Die wichtigste Frage, die man natürlich stellen muss, ist: Wie viele Versuche braucht das Virus noch, um sich irgendwann so an den Menschen anzupassen, dass es nicht mehr nach drei bis vier Übertragungsvorgängen zum Stillstand kommt. Wir wissen eigentlich gar nicht, wie viele Mutationen so ein Virus braucht, um plötzlich zu einem menschlichen Virus zu werden, das überspringt und dann beim Menschen bleibt. Bei einem Atemwegsvirus wie MERS heißt das zwangsläufig: Pandemie, mit vielen, vielen Opfern. Vorhersagen in die Zukunft können wir im Moment noch nicht treffen und wir arbeiten an Methoden, da deutlich mehr zu verstehen. Was aber auch helfen kann, ist ein Blick in die Vergangenheit. Vor kurzem haben wir herausgefunden, dass eines unserer Erkältungsviren offenbar aus der gleichen Quelle wie das MERS-Virus stammt: aus dem Kamel. Dabei hat es Anpassungsschritte durchlaufen, die wir im Labor nachvollziehen können (siehe Abbildung). Was MERS in jedem Spill-Over Infektionsfall neu „probiert“, ist diesem Virus schon gelungen: Es hat sich in der weltweiten menschlichen Bevölkerung verbreitet, und zwar mit großer Wahrscheinlichkeit in Form einer Pandemie. Wurde diese Pandemie vielleicht aufgezeichnet, ohne dass man damals den Erreger kannte? Es wäre phantastisch, zu testen, welche Erreger die Pandemien der Vergangenheit ausgelöst haben. Daraus könnten wir schließen, wie oft die Menschheit sich neue Viren „einfängt“. Leider sind wir da noch ganz am Anfang.

Epidemien und auch Pandemien von Viruserkrankungen scheinen zuzunehmen. Erreger verbreiten sich schneller und kommen immer näher. Was ist notwendig, um auf zukünftige Ausbrüche optimal vorbereitet zu sein?

Zunächst einmal brauchen wir Früherkennung. Vor etwa fünf Jahren gab es einen echten Testfall in Deutschland, mit dem Schmallenberg-Virus im Sauerland. Dabei kam es zu schweren Verkrüppelungen und anderen Geburtsschäden bei Lämmern. Es hat sich herausgestellt: Das ist ein neues Virus, es wird übertragen von Mücken, wurde aus Afrika importiert und ist dann einmal durch ganz Europa gefegt. Man hat sehr genau geschaut, ob auch Menschen infiziert werden – zum Glück ohne Befund. Wenn man sich das vorstellt, dass so ein Virus plötzlich nicht nur Huftiere befällt, sondern auch den Menschen – wir hätten eine ähnliche Katastrophe erlebt, wie mit dem Zika-Virus in Südamerika. Was wir machen müssen, sind vor allem zwei Dinge: Zum einen müssen wir das öffentliche Gesundheitswesen in eine Situation bringen, dass es diesen Ereignissen nicht mehr hinterherläuft, sondern sie vorwegnimmt. Zum Beispiel, indem jeder Patient eine komplette Diagnostik bekommt, bei der das ganze Virusspektrum erfasst wird, nicht nur ein oder zwei spezielle Erreger. Die Technik, Next Generation Sequencing oder auch Tiefsequenzierung, gibt das allmählich her. Und das Zweite ist die präemptive, vorsorgliche Entwicklung von antiviralen Substanzen, also Medikamenten, und Impfstoffen. Ein MERS-Impfstoff wird derzeit schon evaluiert. Einfach, um ihn ins Regal zu legen, damit er im Ausbruchsfall da ist.

Ihr Name ist untrennbar mit der Entdeckung des SARS-Virus verbunden. Was haben Sie, was hat die Forschungsgemeinschaft anhand dieses Falles gelernt?

Man sagt immer, das ist die erste Pandemie des neuen Jahrtausends gewesen. Es war auch tatsächlich ein Warnschuss für Ereignisse, die hinterher gekommen sind. Es gab dann H5N1 - die asiatische Vogelgrippe - und so weiter. Das SARS-Virus war eigentlich eine Horrorvorstellung. Es gab eindeutig eine neue Erkrankung, eindeutig eine Lungenentzündung, eindeutig übertragbar und man konnte kein Virus finden und auch kein Bakterium, das das auslöst. Die epidemiologischen Daten haben aber gezeigt: Die Krankheit breitet sich immer weiter aus. Und man hatte keinen Erreger, nach dem man suchen konnte. Da sind wir heute mit der aktuellen Technik weiter. Ich habe das Virus damals mit vergleichsweise primitiven Techniken gefunden, einer Mischung aus einer ganz alten einfachen Technik und einem ersten Schritt in Richtung dessen, was heute Next Generation Sequencing ist. Das war damals noch nicht erfunden und wir haben die selbe Technik „zu Fuß“ gemacht. Das internationale Gesundheitswesen hat an SARS gelernt, dass ein neues Virus schneller da sein kann in Form einer Krankheit, als in Form eines Virus oder eines Diagnostik-Tests. Da ist von heute auf morgen ein Virus, mit dem man absolut nicht gerechnet hat, aus einer Virusfamilie, die man bestenfalls aus der Tiermedizin kennt. Das taucht auf und ist schon eine Pandemie. Dieser Fall hat durchaus in der Forschung Wertschätzung geliefert für das systematische Erkennen neuer Viren. Das hatte man bis dato noch nicht so ernst genommen.

Sie haben damals nicht gezögert, die Ergebnisse Ihrer Auswertungen und den Test für SARS sofort frei verfügbar zu machen. War das der besonderen Situation geschuldet, oder sehen Sie generell mehr Bedarf an öffentlich zugänglichen Ressourcen in der Wissenschaft?

Damals war ich aus einem technischen Grund in der Lage, den Diagnostiktest für das neue Virus weltweit zu verteilen. Was damals auch neu aufkam, war das Kommunizieren über öffentliche Gesundheit über das Internet, unter anderem mit ProMED-mail, so eine Art Blog. Darüber sind viele Infektionsmediziner weltweit vernetzt. Wir haben dann wochenlang Briefe verschickt. Das war eine absolute Ausnahmesituation im öffentlichen Gesundheitswesen, ein Notfall. Es war natürlich auch ein Paradefall des Aufgebens von Intellectual Property zugunsten von Public Health. Seither hat sich die Situation allerdings nicht nur zum Positiven gewandelt. Infektionsausbrüche sind immer auch ein Grund für restriktive Informationspolitik. In vielen Fällen sind hieran auch Wissenschaftler beteiligt, die sich Vorteile beim Publizieren von Daten sichern wollen, statt die entscheidenden Informationen direkt an die Öffentlichkeit weiterzugeben.

Welche Perspektiven sehen Sie jetzt für die Virologie am Standort Berlin?

Hier in Berlin wird es erstmal darum gehen, dass die Labore ans Laufen kommen. Das betrifft auch Sicherheitslabore, weil wir eben an übertragbaren Erregern arbeiten. Hier in der Virologie wird es ein überarbeitetes, modernisiertes Labor der Sicherheitsstufe 3 geben und wir werden mit dem Robert Koch-Institut zusammen an S3-, später vielleicht auch S4-Erregern arbeiten. Ein Schwerpunkt wird die laborbasierte Epidemiologie sein, also die Erforschung der Verteilung bekannter und neuer Viren besonders beim Menschen, hier und in entfernten Ländern. Daraus ergeben sich auch ganz neue Möglichkeiten in der Individualdiagnostik – Stichpunkt Personalisierte Medizin – die den oft schwer erkrankten Patienten der Charité zu Gute kommen werden. In der Grundlagenforschung geht es mir vor allem darum, ein gutes Netzwerk in Sachen evolutionärer Erregerforschung zu knüpfen und dieses dann mit gemeinsamen Fördermitteln zu versehen. Da gibt es in Berlin viele Startpunkte. Wir haben hier eine ganz hohe Grundenergie, die aber noch nicht an allen Stellen zusammengefunden hat.

Professor Dr. Christian Drosten

Im Mai 2000 legte Christian Drosten das Medizinische Staatsexamen ab und promovierte am Institut für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie des DRK Hessen über die Etablierung eines Hochdurchsatz-Systems zur Virustestung bei Blutspendern. Wenig später folgte die Weiterbildung zum Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg. Hier etablierte er ein Forschungsprogramm zur Diagnostik tropischer Viruskrankheiten und entdeckte unter anderem den SARS-Erreger. Von 2007 bis Anfang 2017 leitete Prof. Drosten als Gründungsdirektor das Institut für Virologie am Universitätsklinikum Bonn. Jetzt ist er Direktor des Instituts für Virologie an der Charité und leitet die Abteilung Virologie der Labor Berlin – Charité Vivantes GmbH.

Institut für Virologie


*Corman VM, Eckerle I, Memish ZA, Liljander AM, Dijkman R, Jonsdottir H, Juma Ngeiywa KJ, Kamau E, Younan M, Al Masri M, Assiri A, Gluecks I, Musa BE, Meyer B, Müller MA, Hilali M, Bornstein S, Wernery U, Thiel V, Jores J, Drexler JF, Drosten C. Link of ubiquitous human coronavirus to dromedary camels. Proc Natl Acad Sci U S A. 2016 Aug 30;113(35):9864-9. doi: 10.1073/pnas.1604472113.

Titelfoto: Volker Lannert. Interview: Anne Mertens, März 2017