
Forschende berichten: Neue Erkenntnisse zu Hirnnetzwerken
02.02.2023
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Charité-Team entdeckt "Komplexom"
Forschende der Charité – Universitätsmedizin Berlin und des Max Planck UCL Centre for Computational Psychiatry and Ageing Research haben neue Erkenntnisse zu den Organisationsprinzipien spontaner Hirnaktivität gewonnen. Hier beantworten sie Fragen zu ihren Forschungsergebnissen.
Welche wissenschaftliche Fragestellung liegt Ihrer Studie zugrunde?

Die neurowissenschaftliche Forschung der letzten 20 Jahren hat gezeigt, dass das menschliche Gehirn in funktionellen Netzwerken organisiert ist. Obwohl die zeitlichen und räumlichen Eigenschaften dieser Netzwerke immer besser verstanden sind, ist derzeit noch weitgehend unklar, was genau diesen Eigenschaften zugrunde liegt. In unserer Studie sind wir dieser Frage nachgegangen, indem wir die Aktivitätsmuster einzelner Hirnregionen mit dem Netzwerkaufbau des Gehirns als Ganzes in Verbindung gesetzt haben.
Wie sind Sie vorgegangen?
Wir haben die spontane Hirnaktivität von gesunden Erwachsenen aus dem Human Connectome Project untersucht, deren Hirnsignale mittels funktioneller Magnetresonanztomographie (MRT) aufgezeichnet wurden. Diese Hirnsignale wurden dann einer Komplexitätsanalyse unterzogen, die auf informationstheoretischen Konzepten wie der Entropie beruht. So konnten wir Muster in der Hirnaktivität erkennen, die durch herkömmliche Methoden nicht erfasst werden.
Was haben Sie herausgefunden?
Die Schlüsselbeobachtung besteht darin, dass das Gehirn in unterschiedlichen Komplexitätszuständen arbeitet, die wichtige Netzwerkeigenschaften erklären. Im Speziellen konnten wir zeigen, dass spontane Hirnaktivität zumeist ein hohes Maß an Unregelmäßigkeit aufweist, was sich als hohe Komplexität widerspiegelt. Dieser „Normalzustand“ wird jedoch immer wieder durch spontane Episoden niedriger Komplexität unterbrochen („complexity drops“), in denen die Hirnaktivität für einen kurzen Moment sehr regelmäßig wird.
Was hat Sie überrascht?
Überraschend war, dass sich diese Komplexitätsmuster in jedem der knapp 700 untersuchten MRTs nachweisen ließen. Das weist auf ein sehr grundlegendes Organisationsprinzip hin, das wir als menschliches „Komplexom“ zusammenfassen. Überrascht hat uns auch der starke Einfluss des Alters auf die Aktivitätsmuster, selbst in dieser jungen Kohorte zwischen Anfang 20 und Mitte 30.
Welches Fazit können Sie ziehen?
Mit unseren Beobachtungen lassen sich wichtige Erkenntnisse über den funktionellen Aufbau des Gehirns zusammenhängend erklären, etwa weshalb unterschiedliche Hirnregionen in funktionellen Netzwerken agieren und wie sich Aktivitätsmuster über das Gehirn ausbreiten. Der Ansatz zeigt auch, wie sich Hirnnetzwerke in Sekunden bis Minuten verändern, und stellt einen Zusammenhang zwischen funktionellen und anatomischen Netzwerkeigenschaften her. Zudem bestand ein Zusammenhang zwischen Komplexität und Alter sowie motorischer und kognitiver Leistung.
Quelle
Krohn S et al. A spatiotemporal complexity architecture of human brain activity. Sci Adv 2023 Feb 01. doi: 10.1126/sciadv.abq3851
Kontakt
Dr. Stephan Krohn
Prof. Dr. Carsten Finke
Klinik für Neurologie mit Experimenteller Neurologie
Campus Virchow-Klinikum
Charité – Universitätsmedizin Berlin